Interview mit einem Geschwisterkind

Dein älteres Geschwister hat das Asperger-Syndrom. Was ist für dich und dein Leben in deiner Familie positiv und was ist negativ?

Positiv ist, dass wir in unserer Familie immer alles vorausplanen, denn das ist auch für mich ein wichtiges Anliegen. Ausserdem habe ich in meinem Leben viel Freiraum, weil sich nicht alles um mich dreht.

Als negativ empfinde ich, dass wir uns ständig meinem Geschwister mit Asperger anpassen müssen und dass seine Bedürfnisse häufig im Mittelpunkt stehen. Und wenn meine Mutter mal etwas mit mir alleine macht, dann findet mein Geschwister, dass sie mir zu viel Aufmerksamkeit schenkt. Das finde ich unfair.

Was war für dich besonders schwierig, als ihr noch kleiner wart?

Mein Geschwister wollte früher beim Spielen gerne alles bestimmen. Ihm war es wichtig, dass es Chef sein konnte. Im Sandkasten wollte es zum Beispiel immer, dass ich mit dem Eimer das Wasser beim Wasserhahn hole, damit es inzwischen die Sachen so bauen konnte, wie es seiner Vorstellung entsprach.

Früher fiel es ihm auch sehr schwer zu teilen. Ich hingegen musste ihm öfter meine Sachen geben oder ausleihen, obwohl das nicht fair war.

Was ist schwierig heute?

Dass mein Geschwister meine Gefühle nicht versteht und mich manchmal mit seinen Aussagen verletzt. Auch habe ich den Eindruck, dass es mich manchmal bewusst ignoriert. Wenn ich es zum Beispiel frage, ob wir gemeinsam spielen, dann sagt mein Geschwister häufig nein. Ich glaube, es möchte den Zeitpunkt selber bestimmen, wann wir etwas zusammen machen. Umgekehrt wird es sehr wütend, wenn ich einmal nicht mit ihm spielen möchte. Wenn es dann mal klappt, dann muss ich immer sein Spiel spielen. Wenn ich ein Spiel vorschlage, das ich gerne spielen möchte, verlässt es einfach den Raum.

Wie gehst du mit solchen Situationen um?

Ich versuche verletzende Kommentare zu ignorieren. Manchmal probiere ich auch, mein Geschwister mit sachlichen Argumenten zu konfrontieren. Das schaffe ich aber nicht immer. Eine weitere Strategie ist, dass ich schon ein Nein erwarte bevor ich überhaupt frage, ob wir zusammen spielen. So bin ich dann nicht so enttäuscht, wenn es tatsächlich nein sagt.

Hat sich etwas verändert in all den Jahren, die ihr nun zusammenlebt?

Es gibt inzwischen auch Phasen, in denen wir ganz normal miteinander umgehen können. Aber wenn mein Geschwister viel Stress in der Schule hat, dann finde ich es sehr schwer mit ihm zusammenzuleben.

Was gefällt dir an deinem Geschwister mit Asperger?

Es hat viele Ideen und ist sehr kreativ. Mit ihm wird es einem nie langweilig.  Ausserdem kann es sich sehr vieles merken. Ich glaube, es weiss so viel, da es ganz viele Details wahrnimmt. Manchmal erzählt es sehr detailliert von Dingen, die schon vor langer Zeit passiert sind. Es kann sich Sachen merken, die ich schon längst wieder vergessen habe.

Was unterscheidet dich von deinem Geschwister mit Asperger?

Ich war eigentlich schon immer sozialer und ich kann Gefühle von anderen besser wahrnehmen. Aus diesem Grund verstehe ich mich mit fast allen Kindern aus meinem Umfeld gut.  Ich kann auch besser teilen und mich mit unserer kleineren Schwester beschäftigen. Dafür wird es mir schneller langweilig und ich kann mich nicht so gut in ein Thema vertiefen.

Ich habe viel Humor und kann auch über mich selbst lachen. Das kann mein Geschwister nicht so gut. Es versteht häufig die Ironie in einem Witz nicht. Ich glaube, das macht es manchmal wütend, denn es möchte ja auch mitlachen.

Was kannst du besonders gut, weil du ein Geschwister mit Asperger hast?

Ich kann es gut akzeptieren, wenn zum Beispiel in der Klasse ein Kind ist, das nicht so ist wie die anderen. Es macht mir nichts aus. Ich nehme jeden so wie er  ist. Und ich kann mich auch gut zurücknehmen und muss mich nicht in den Vordergrund drängen. Zudem erkenne ich Kinder, die auf dem Spektrum sein könnten. Damit kann ich gut umgehen.

Gibt es auch Ähnlichkeiten zwischen euch?

Ich glaube wir beide haben Mühe mit Planänderungen und wir haben ähnliche Interessen.

Was wünschst du dir allgemein für Geschwister von Asperger-Kindern?

Ich wünsche mir, dass ihre Eltern beide Seiten verstehen, sodass die neurotypischen Geschwister sich getrauen, den Eltern zu sagen, wenn etwas nicht gut ist. Zudem wünsche ich mir, dass die Eltern auch einmal Partei für die neurotypischen Geschwister ergreifen, wenn das Asperger-Kind unfair oder gemein ist. Es ist aber auch wichtig, dass man das Asperger-Kind nicht beleidigt, denn es kann ja eigentlich nichts dafür.

Vielen Dank für deine Antworten!

 

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